Jan Pfaff   


Journalist

     




Schatten der Vergangenheit



Mike war Kindersoldat. Er zog durch Sierra Leone und hatte Macht über Leben und Tod. Nun wohnt er in München, hat eine Frau und zwei Kinder. Er erzählt seine Geschichte anonym. Keiner soll wissen, wer er mal war. Nicht einmal seine Familie


chrismon plus, September 2009







Nach wenigen Sätzen unterbricht Mike* seine Erzählung. Vor der Tür des Büros sind Stimmen zu hören. Gesprächsfetzen von Jugendlichen, die auf dem Flur warten. Mike springt von seinem Stuhl auf, schließt die angelehnte Bürotür. Seine Geschichte will er nur im Schutz der Anonymität erzählen. Niemand in München soll von seiner Vergangenheit erfahren. Zu groß ist die Angst, für Freunde und Bekannte nur noch der Killer aus Afrika zu sein.

Mike ist 25 Jahre alt. Er trägt eine schwarze Nike-Cap, weite Jeans und weiße Basketballschuhe. Ein dünner Bart wächst um sein Kinn. Zehn Jahre ist es her, dass er das erste Mal in diesem Büro saß. Es war seine erste Anlaufstelle als minderjähriger Flüchtling.

Wenn er von seiner Zeit in Deutschland spricht, erzählt Mike gern von Erfolgen. Er lehnt sich auf dem Stuhl zurück und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Der Anfang sei schwierig gewesen. "Aber das geht allen so." Nun hat er eine Aufenthaltsgenehmigung, einen Job und eine eigene Familie, zählt er auf. "Läuft jetzt alles gut", sagt er. An die Zeit in Sierra Leone denke er gar nicht mehr.

Acht Jahre war er alt, als seine Kindheit von einem Tag auf den anderen endete. Rebellen der Revolutionary United Front (RUF) stürmten 1992 Mikes Dorf. Er musste mit ansehen, wie seine Mutter und sein Vater erschossen wurden. "Willst du deinen Eltern nachfolgen, oder kommst du mit uns?", fragte der Anführer. Mike folgte denen, die ihn zum Waisenkind gemacht hatten.


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