Jan Pfaff   


Journalist

     




"Die erste Teilung passierte 1945"



Der 8. Mai 1945 und das Erinnern: Ein Gespräch mit der ostdeutschen Historikerin Silke Satjukow und dem westdeutschen Historiker Ulrich Herbert


taz am wochenende, 05.05.2020







taz am wochenende: Frau Satjukow, Herr Herbert, eine persönliche Frage zu Beginn: Wie wurde in Ihren Familien über den 8. Mai 1945 gesprochen?

Silke Satjukow: In Thüringen, wo ich groß geworden bin, marschierten die Amerikaner schon im April ein, im Juli folgte die Rote Armee. Wenn wir den 8. Mai als Chiffre für die letzten Kriegstage verstehen, wurde bei uns oft darüber gesprochen, dass meine Tante Angela von einem Russen vergewaltigt wurde. Die Erzählung in meiner Familie war also nicht die von einer Befreiung, sondern die von einer Gewalttat.

Ulrich Herbert: Bei uns war der 26. Januar das entscheidende Datum. Die Stadt Elbing in Ostpreußen, wo meine Großeltern und meine Mutter lebten, wurde an diesem Tag eingenommen. Als die Rote Armee schon in Sichtweite war, entschieden meine Großeltern, sich nach Westen aufzumachen. Meine Mutter erlebte den 8. Mai dann in Bayern. Sie erzählte mir von dem ersten amerikanischen Jeep, den sie sah. Der Fahrer war ein Schwarzer, der Offizier ein Weißer. Der hatte das Hemd offen und die Füße auf den Kühler gelegt. Der Kommentar meiner Mutter: „Und trotzdem gewonnen.“


Das Kriegsende erleben die Menschen unterschiedlich, je nach Region. Kann man sagen, dass da schon die Zweiteilung Deutschlands einsetzt?

Satjukow: Die Erwartungen der Deutschen an die Alliierten waren sehr unterschiedlich. Die nationalsozialistische Propaganda hatte den Menschen eingetrichtert, vor allem die Russen seien Bestien. Und tatsächlich plünderte, vergewaltigte und mordete die Rote Armee in diesen letzten Kriegstagen. Aber auch die Franzosen hatten den Ruf, gewalttätig zu sein, was sich in Süddeutschland teils bestätigte. Anders sprach man dagegen über die Amerikaner und die Briten. Differierende Erwartungen führten dann auch zu unterschiedlichen Erfahrungen. Insofern kann man von einer ersten Teilung sprechen.

Herbert: Die Russen haben nicht nur das getan, was die deutsche Propaganda vorhergesagt hat, sondern, was die Deutschen auch erwartet hatten, weil sie wussten oder zumindest ahnten, was deutsche Einheiten in Russland angerichtet hatten. Insofern hat die Propaganda nur eine Befürchtung verstärkt, die es aufgrund eigener Informationen gab.

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